Sonntag, 6. Oktober 2024

Sonntagmorgen in meiner Stadt

Diese Stadt ist freundlich, aufgeräumt (zumindest für eine Stadt) seitdem ich ein halb-einsames Wochenende im brutalen Berlin verbracht habe. 

Die Sonne, die warmen Farben der Blätter, die Linien die drei Möwen auf dem Wasser hinterlassen. Sie drehen gemächlich ihre Kreise und gucken ab und zu neugierig zu mir rüber, kommen näher und entfernen sich wieder, sie scheinen kein Ziel und keine Eile zu haben, sondern auch den Tag auf sich zukommen zu lassen. 

Neben mir und den Möwen tun das auch andere: Am Schachtisch neben der großen Eisenbahnbrücke sitzen ein Mann und eine Frau am Wasser zusammen, beide mittelalt, und spielen Karten, neben sich zwei 0,5l Bierdosen. Er trägt eine orange Warnweste und raucht; sie hat einen schwarzen Anorak an und eine Lederhandtasche dabei. Vielleicht kommt er von der Nachtschicht und sie trinkt mit ihm ein Feierabendbier? 

Ein Obdachloser liegt unter der nächsten Brücke und schläft noch, während ein Pärchen mit einer Brötchentüte und Coffee to go fröhlich plaudernd vorbei spaziert. Seit ein paar Nächten ist der Himmel sternenklar und die Luft schneidend kalt, wenn ich nachts von Partys nach Hause radle.

Eine Gruppe von 20 jungen Menschen (anscheinend keine Morgenmuffel) joggt lauter schnatternd als die Enten vorbei. Eine Frau steht auf dem Steg und begrüßt die Sonne, die sich im glatten Wasser vor ihr spiegelt - nur sie allein und die Sonne und die Stadt um sie herum. 

Drei Boomer absolvieren ihre Sonntags-Laufrunde und es gibt wieder nur ein Thema: "...weil Gender-Sternchen ja das größte Problem sind, das wir haben." Dabei sprechen sie das G von Gender aus wie das G in Gerhard. Ich frage mich, ob aus Spaß oder auf ernst. 

Ein weiterer (bisschen zu alt für Boomer) sitzt allein am Kanal und angelt. Eine Mutter fährt ihre zwei Kinder in einem Lastenfahrrad irgendwohin. Die Kirchenglocken läuten. Ich denke an Sachen, die ich gerne machen würde und frage mich zugleich, ob ich die wirkliche gerne machen würde, weil wenn ja würde ich sie ja tun. Zum Beispiel sonntags in die Kirche gehen, an einem Triathlon teilnehmen, mich im Hallenbad verlieben, meine Kollegin doch nochmal nach einem Date fragen oder auch vielleicht erstmal nach einem harmlosen Treffen, wieder öfter Volleyball spielen, Zeit mit Pferden oder Kindern verbringen. 

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