Sonntag, 6. Oktober 2024

Junge Erwachsene

 Bin ich überhaupt noch eine junge Erwachsene? Oder schon eine richtige? 

Kurz vor dem Einschlafen kam mir gestern der Gedanke, dass ich mit fast 30 wohl kaum noch in ein Blog schreiben kann, welches die Überschrift "mein aufregendes Teenieleben" trägt. Da habe ich wohl ein paar Phasen meines Lebens einfach übersprungen oder wollte sie nicht wahrhaben. Und jetzt habe ich gestern so eine Art Krampfader an meinem rechten Schienbein und letztens beim Schminken Falten über meinem Augenlid entdeckt, die nicht sofort wieder weggingen nachdem ich aufgehört hatte, das Auge zwecks Mascara auftragen zusammenzukneifen. 

Manchmal habe ich trotzdem das Gefühl, ich bin im Leben einer 20-jährigen stecken geblieben. Ich habe zwar einen Job und lebe alleine in einer Stadtwohnung, was eigentlich der typischen 30jährigen in New York aus romantischen Komödien oder irgendwelchen Serien entspricht; noch dazu date ab und zu Typen, um was zu erzählen zu haben wenn ich mich mit Freundinnen auf einen Kaffee treffe, heule insgeheim aber immer noch der letzten toxic situationship von vor 2 Jahren hinterher. In den Filmen wirkt es alles irgendwie cool und hip, in Wahrheit ist es aber oft einfach einsam und ich vergleiche mich mit Leuten, die ein Leben leben das sie doch auch nur in irgendeiner Werbung für Bausparverträge oder bei Insta oder in der taz gesehen haben. Warum wirken die trotzdem so, als wäre es genau das, was sie erfüllt; als hätten sie ihren Platz in der Welt gefunden. 

Welches Label passt denn jetzt auf das aktuelle Kapitel meines Lebens? Ich weiß aus Erfahrung, dass man nicht ewig auf den einen Augenblick, auf den richtigen Menschen, die Erleuchtung warten kann sondern selbst dafür sorgen muss. Make yourself happy, jeder kann es schaffen, schallt es neoliberal in meinem Kopf. Seitdem ich unter Sozialarbeitenden weile, kann ich neoliberale Slogans aber nicht mehr so einfach befolgen. So bleiben, wie es ist, kann es aber ja irgendwie auch nicht. Also was tun? Dem Blog einen neuen Anstrich geben oder mich gleich selber neu erfinden? 

Ich besitze seit diesem Jahr eine Salatschleuder, ein Bügeleisen und ein Bügelbrett. Außerdem habe ich häkeln gelernt und lese wieder mehr. Sollte ich mir vielleicht eine Katze holen? Zum Bügeln konnte ich mich noch nicht durchringen. Eine gute Freundin meines Vaters aus Kopenhagen war für mich immer der Inbegriff einer glücklichen Catlady: mit vielen Büchern und einer Katze verbrachte sie ihr Dasein in einer gemütlichen Wohnung, in der sie rauchte und las, sonnige Stunden im Innenhof mit ihren Nachbarn verbrachte, unter der Woche zu ihrem Bürojob radelte und in der Stadt gut vernetzt war. Sie hatte immer Zeit für uns wenn wir zu Besuch kamen und Bock, Ausflüge zu machen und sich mit uns zu unterhalten. Keine Ahnung was sie in der restlichen Zeit machte, aber vielleicht bekomme ich so langsam eine Ahnung. 

Man muss keine Kleinfamilie gründen, um glücklich zu sein. Und man kann das alles und die Monogamie zu Recht kritisieren. Und trotzdem wünsche ich mir Verbundenheit auf die eine oder andere Art, mehr Nähe als die, die ich in spontanen und schönen Momenten in meinem Alltag erfahre und die nicht bis zu meinem Kern dringt. Aber ich bin so genervt von den immer gleichen Gesprächen die ich selbst immer wieder aufs (Online) Dating lenke und es schon gar nicht mehr merke, der Angst die sich um mich und meine single Kolleginnen und Freundinnen gelegt hat. Genervt und manchmal gefangen von der Angst, alleine zu bleiben und dem Vorwurf, es nicht genug zu versuchen, zu anspruchsvoll, zu verzweifelt, zu vermeidend zu sein, nicht genug Möglichkeiten in Betracht zu ziehen und sich an den eh nicht passenden festzuhalten wegen irgendwelcher Bindungs-und Verlustängste die wir erstmal bitteschön alle zu überwinden haben, bevor irgendetwas weiteres passiert. Ich möchte diese Ängste überwinden mit Menschen, mit denen das anscheinend nicht geht und hab nebenbei keine Kraft mehr für immer neue Kaffee-und Spazierdates. Ich könnte mich ja auch in Gerd aus der Schulzeit verlieben, mit dem ich damals zum Üben manchmal rumgemacht habe und der mir jetzt auf Hinge wieder begegnet ist und nach einem Treffen fragt. Aber ich habe schon damals nichts dabei gefühlt. Vielleicht ist das bei anderen auch so und sie ignorieren es erstmal für eine gewisse Zeit, bis es dann egal ist weil die Verliebtheit ja auch sonst nach längerem nachlässt. 

Das Problem ist aber, ich habe ja schonmal richtige echte Funken fliegen gesehen und sie haben mein Herz getroffen und alles verglüht. Und seitdem finde ich alles andere langweilig. Deswegen ist es vielleicht auch ganz okay, erstmal hier zu bleiben und zu schreiben. Jetzt muss ich gleich etwas seriöseres als ein Internet-Tagebuch schreiben, nämlich ein Lerntagebuch über die Psychologisierung des Sozialen. Viel lieber als mein Arbeitsfeld psychologisiere ich aber in meinem eigenen Leben herum. So - begebe mich dann mal wieder auf die Metaebene. Bis bald ihr Zimtschnecken und danke fürs Zuhören <3 

P.S. Falls sich jemand gefragt haben sollte: Ich benutze fehlende Kommas als Stilmittel. Aber wir sind hier ja auch nicht in einer Deutsch-Klausur. Und wie viele Kommas muss man bitte in der deutschen Sprache setzen?! Ich finds etwas crazy.

Sonntagmorgen in meiner Stadt

Diese Stadt ist freundlich, aufgeräumt (zumindest für eine Stadt) seitdem ich ein halb-einsames Wochenende im brutalen Berlin verbracht habe. 

Die Sonne, die warmen Farben der Blätter, die Linien die drei Möwen auf dem Wasser hinterlassen. Sie drehen gemächlich ihre Kreise und gucken ab und zu neugierig zu mir rüber, kommen näher und entfernen sich wieder, sie scheinen kein Ziel und keine Eile zu haben, sondern auch den Tag auf sich zukommen zu lassen. 

Neben mir und den Möwen tun das auch andere: Am Schachtisch neben der großen Eisenbahnbrücke sitzen ein Mann und eine Frau am Wasser zusammen, beide mittelalt, und spielen Karten, neben sich zwei 0,5l Bierdosen. Er trägt eine orange Warnweste und raucht; sie hat einen schwarzen Anorak an und eine Lederhandtasche dabei. Vielleicht kommt er von der Nachtschicht und sie trinkt mit ihm ein Feierabendbier? 

Ein Obdachloser liegt unter der nächsten Brücke und schläft noch, während ein Pärchen mit einer Brötchentüte und Coffee to go fröhlich plaudernd vorbei spaziert. Seit ein paar Nächten ist der Himmel sternenklar und die Luft schneidend kalt, wenn ich nachts von Partys nach Hause radle.

Eine Gruppe von 20 jungen Menschen (anscheinend keine Morgenmuffel) joggt lauter schnatternd als die Enten vorbei. Eine Frau steht auf dem Steg und begrüßt die Sonne, die sich im glatten Wasser vor ihr spiegelt - nur sie allein und die Sonne und die Stadt um sie herum. 

Drei Boomer absolvieren ihre Sonntags-Laufrunde und es gibt wieder nur ein Thema: "...weil Gender-Sternchen ja das größte Problem sind, das wir haben." Dabei sprechen sie das G von Gender aus wie das G in Gerhard. Ich frage mich, ob aus Spaß oder auf ernst. 

Ein weiterer (bisschen zu alt für Boomer) sitzt allein am Kanal und angelt. Eine Mutter fährt ihre zwei Kinder in einem Lastenfahrrad irgendwohin. Die Kirchenglocken läuten. Ich denke an Sachen, die ich gerne machen würde und frage mich zugleich, ob ich die wirkliche gerne machen würde, weil wenn ja würde ich sie ja tun. Zum Beispiel sonntags in die Kirche gehen, an einem Triathlon teilnehmen, mich im Hallenbad verlieben, meine Kollegin doch nochmal nach einem Date fragen oder auch vielleicht erstmal nach einem harmlosen Treffen, wieder öfter Volleyball spielen, Zeit mit Pferden oder Kindern verbringen. 

Sonntagsblogger

1. Raverboys am Sonntagmorgen an der Spree 

2. Selbsterklärend. Die meisten Dinge kann ich mir kaufen, aber wie finde ich meinen Soulmate?
 
3.+4. Buchempfehlungen: Nachdem eine Kollegin mir einen romantischen easy-to-read Sommerroman ("Fünf Sommer mit dir" von Carley Fortune) ausgeliehen hatte, habe ich die Freude am Lesen for fun (fast wie in der Kindheit, als Lesen noch eine wirkliches Hobby war und man sich nicht ständig selbst dabei unterbrach mit hektischen Blicken aufs Handy) wieder entdeckt und mache nun direkt mit "Haus aus Wind" weiter. Glaube in den letzten Jahren habe ich mich vielleicht ein bisschen zu viel mit Sachbüchern beschäftigt - was ja auch nice und vor allem bildend sein kann, aber auch ein bisschen hölzern, todernst und immer so zielorientiert.  "Haus am Wind" ist zwar schon ein bisschen näher dran an anstrengend-deprimierenden Sachbüchern, die Probleme der wirklichen Welt beinhalten und für Bobos* (Achtung, das ist kein Genderstern) aus Berlin oder jeder anderen hippen Stadt in Deutschland durchaus relatable, was ja beim lese-induzierten Entspannen durchaus stören kann. Aber irgendwie ist es doch nett, sich in das ausgedachte Leben einer anderen Protagonistin zu stürzen und ihr nach Portugal in ein Selbstfindungs- und Surfabenteuer zu folgen, in dem sie auf mega hippe aufgeklärte und individuelle Aussteiger*innen und Locals trifft, die dann auch noch alle ihre Freunde werden, obwohl sie sich selber die meiste Zeit als absolut peinlich wahrnimmt. Es wird viel gegendert und das von Protagonistin Johanna verinnerlichte politisch-korrekte Einordnen von Personen und Situationen kann an manchen Stellen ein bisschen gewollt wirken und nerven (falls du ein Boomer bist, wovon ich eigentlich nicht ausgehe). Andererseits ist es wieder authentisch, wenn man sich als Bobo derselben Generation und Bubble identifiziert und dieses Bewusstmachen der übergreifenden gesellschaftlichen Strukturen und Privilegien eh zu jeder Zeit mitdenkt. Habe nur bisher selten erlebt, dass das in einem Buch so mit benannt wird. 
Mehr verrate ich erstmal nicht (weil ich eh erst halb durch damit bin :P) 


*von meinem Kollegen Michael hörte ich letztens das erste Mal den Begriff Bobo, kurz für Bourgeois-Bohème. Keine Ahnung mehr, worum es in dem Gespräch bei unserer Feierabend-Zusammenkunft ging, aber vermutlich um gesellschaftliche Strukturen in der Stadt und auf dem Land und was das mit der aktuellen Politik zu tun habe. Fazit war, das wir zwar linksgrün und aufgeklärt täten, aber damit auch Bobos seien - die am Ende vielleicht nur eine Fassade von gesellschaftlichen Veränderungen erwirkten. Hier habe ich eine interessanten Artikel entdeckt, der zwar 10 Jahre alt ist, aber damit auch vermutlich dem Wissensstand von Michael entspricht und das reicht uns erstmal: